Flexible Schichtmodelle

Flexible Schichtmodelle

von Lydia Thanner

Die heutige voestalpine AG ist ein international tätiger Stahl-, Verarbeitungs- und Dienstleistungskonzern mit mehr als 350 Produktions- und Vertriebsstandorten in 50 Ländern. Um in der Unternehmensgruppe den vollkontinuierlichen Produktionsprozess zu gewährleisten, ist Schicht- und Nachtarbeit erforderlich. Für die im Schichtbetrieb tätigen MitarbeiterInnen, so genannte "SchichtlerInnen", ergeben sich durch diese Arbeitszeitmodelle finanzielle Anreize, die allerdings mit sozialen, psychischen oder physischen Belastungen einher gehen. Hervorzuheben sind Unregelmäßigkeiten in den Arbeits- und Regenerationsphasen, nachweisbare Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden oder die mangelnde Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. (vgl. Hietler 2007, S. 48)

    Im vollkontinuierlichen Produktionsbetrieb sind in den letzten Jahrzehnten allerdings auch Aufweichungen starrer Schichtmodelle, und damit einhergehend Flexibilisierungstendenzen, fest zu halten.1 Auch der Anteil externer MitarbeiterInnen, von Leasing- und Leiharbeit, ist im Steigen begriffen. In der durchgängigen Produktion (24 Stunden pro Tag, 7 Tage pro Woche) werden konventionelle Vier-Schichtmodelle zunehmend hinterfragt und durch flexiblere Formen, wie Fünf-Schichtmodelle, ersetzt. Beide Varianten zeichnen sich durch abwechselnde Früh-, Spät- und Nachtschichten sowie Freizeitblöcke aus. Namensgebend sind die zugrunde liegenden Arbeitsrhythmen: (vgl. voestalpine - Division Stahl 2005b, S. 5)

  • Vier-Schichtmodell: Die Schichtpläne des in der voestalpine üblichen Modells werden in vier alternierende Blöcken unterteilt, und auf zwölf Tagen Arbeit folgen drei Tage Freizeit (drei Tage Frühschicht, drei Tage Spätschicht, drei Tage Nachtschicht, drei Tage Freizeit).
  • Fünf-Schichtmodell: Dieses Modell zeichnet sich durch fünf zweitägige Phasen aus, zwei davon stellen aneinander gereihte Freizeitblöcke dar. Beschäftigte arbeiten jeweils zwei Tage Früh-, Spät- und Nachtschicht und erhalten in Folge zwei Mal zwei Tage Freizeit.

    Negative Aspekte des Vier-Schichtmodells beschrieb Johann Linsmaier als Stellvertreter des Arbeiter-Betriebsratsvorsitzenden in mm, dem Mitarbeitermagazin der voestalpine:

"Drei Tage frei ist aber nicht ganz korrekt […] Der erste freie Tag wird meist mit Schlafen verbracht, der zweite ist dann wirklich frei und am dritten Tag muss man wieder bald ins Bett, weil dann die Frühschicht beginnt."
(voestalpine - Division Stahl 2007, S. 13)

    Um die "Arbeitswelt voestalpine" attraktiv zu gestalten, setzt das unternehmensinterne Entwicklungsprogramm LIFE (Lebensfroh - Ideenreich - Fit - Erfolgreich) auf die Implementierung konzernweiter Programme. Zu nennen sind unter anderem die LIFE-Maßnahmen "Neue Arbeitszeitmodelle" und "Nachwuchssorgen im Schichtbetrieb". (vgl. Hietler 2007, S. 48) Von der Unternehmensleitung, der Belegschaftsvertretung und MitarbeiterInnen gemeinsam getragen, ist das zentrale Anliegen von LIFE vor allem,

"[…] eine den individuellen Lebensphasen der Mitarbeiter (Anm.: und Mitarbeiterinnen) bestmöglich entsprechende Gestaltung von Arbeitszeit, Arbeitsabläufen und Arbeitsplätzen, um ein noch produktiveres Zusammenarbeiten aller im Unternehmen tätigen Generationen sicherzustellen. Diese Aktivitäten werden […] forciert, wobei der Schwerpunkt auf die zunehmend an Bedeutung gewinnende Gruppe älterer Arbeitnehmer (Anm.: und Arbeitnehmerinnen) gelegt wird."
(voestalpine 2005, S. 33)

    Mit der Implementierung flexibler Schichtmodelle und der Wahlfreiheit für die MitarbeiterInnen nahm die voestalpine eine Vorreiterinnenrolle ein. Die Einführung im Jahr 2005 basierte auf einer freiwilligen Stundenreduktion ohne Lohnausgleich, die in zwei Pilotbetrieben durch Befragung der SchichtarbeiterInnen erhoben wurden:2(vgl. Fuchs 2009, vgl. voestalpine Stahl GmbH 2009)

  • In der Kokerei (Meisterei Kohlenwertstoffe, B1K) entschieden sich alle 40 MitarbeiterInnen für eine Arbeitszeitverkürzung (33,67/34,4 Stunden: 75,0 Prozent, 36 Stunden: 22,2 Prozent, keine Angabe: 2,8 Prozent). Im April 2005 erfolgte daraufhin die Umstellung von einem Vier- auf einen Fünf-Schicht-Betrieb mit reduzierter Stundenanzahl.
  • In der Warmbandbearbeitung (Meisterei Bandbeize 1, B2F) war die Bereitschaft zur Arbeitszeitreduktion geringer (6 von 80 MitarbeiterInnen, 33,67/34,4 Stunden: 2,5 Prozent, 36 Stunden: 5,0 Prozent, 38,5 Stunden: 92,5 Prozent). Das Vier-Schichtmodell wurde adaptiert und mit individuellen Lösungen umgesetzt.

    Einer der zentralen Gründe für die Arbeitszeitverkürzung war die verbesserte Verknüpfung von Berufs- und Privatleben. Die Mehrheit der Befragten nannte mehr Zeit für die Familie oder Privates als wichtige Motive (trifft eher zu: 91,0 bzw. 87,5 Prozent). An dritter Stelle rangierten gesundheitliche Gründe (63,1 Prozent). Rund jede/r zweite Beteiligte führte überdies die geringen finanziellen Verluste und die Schaffung von Arbeitsplätzen als Gründe für die freiwillige Stundenreduktion an (50,1 bzw. 56,8 Prozent). (vgl. voestalpine Stahl GmbH 2009, S. 2 - 5)

    Die soziale Bedeutung von flexiblen Schichtmodellen, und insbesondere des Fünf-Schichtmodells, beurteilte Hans-Karl Schaller, Betriebsrat der voestalpine AG, im Interview wie folgt:

"Vierer schichteln ist ja nicht einfach. [...] Du bist ausgeschlossen von allen kulturellen Geschichten [...] und bei der Fünfer-Schicht hast du zwei Früh, zwei Mittag, zwei Nacht und vier Tage frei [...]."
(vgl. Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik 2007, S. 126)

    Derart stieg nach der Einführung in beiden Pilotbetrieben der voestalpine Stahl die Arbeitszufriedenheit.3 Knapp neun von zehn der SchichtarbeiterInnen sprachen sich für die Fortsetzung flexibler Schichtmodelle aus (trifft eher zu: 86,9 Prozent). Rund 70 Prozent erfuhren durch die Implementierung eine gestiegene Arbeitszufriedenheit und eine höhere Attraktivität des Arbeitsplatzes (72,6 bzw. 61,9 Prozent). (vgl. voestalpine Stahl GmbH 2009, S. 4) Auch wurde eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und positive Reaktionen im sozialen Umfeld wahrgenommen (trifft eher zu: 79,8 bzw. 76,2 Prozent).(vgl. ebd., S. 5)

Die nachfolgenden Interviewpassagen belegen den Erfolg flexibler Schichtmodelle im Pilotbetrieb:

Peter Budovinsky, Leiter der Kokerei, voestalpine Stahl: "Natürlich war diese flexible Regelung mit einem höheren Aufwand an Organisation verbunden. Es wurde jedoch ein Modus gefunden, der allen diese Wahlfreiheit zugesteht und dabei sogar noch neue Arbeitsplätze für junge Mitarbeiter (Anm.: und Mitarbeiterinnen) geschaffen hat."
(Heckmann 2006, o. S.)
Josef Pum, Mitarbeiter der Kokerei, voestalpine Stahl: "Die meisten haben sich - so wie ich - für ein Modell mit weniger Arbeitsstunden entschieden. Fühle mich wohler und habe mehr Zeit für Anderes. Jüngere interessieren sich jetzt auch wieder für das 'Schichteln'. Bislang lag der Durchschnitt ja schon bei 45 Jahren."
(Heckmann 2006, o. S.)

    Positive Effekte zeigten und zeigen sich auch auf Konzernebene. Arbeitszeitflexibilisierung im produzierenden Gewerbe stellt eine der Antworten auf Marktanforderungen und betriebsorganisatorische Erfordernisse dar, und auch die Planung des Personaleinsatzes kann durch Abwesenheitssteuerung effizienter gestaltet werden. (vgl. Gmür 1991, vgl. BEST-ZEIT, Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2002) Johann Linsmaier, benannte diese Aspekte als Arbeiterbetriebsrat in der voestalpine AG im Interview:

"Der Vorteil dieser Fünfschichtvariante liegt aber nicht einseitig auf Seiten der ArbeitnehmerInnen, sondern (…) auch auf Seiten des Betriebes, wird dadurch doch die Wahrscheinlichkeit bei Mehrarbeit Überstundenzuschläge leisten zu müssen, geringer. Zusätzlich kann im Bedarfsfall von Mehrarbeit immer auf zwei Schichten, statt bisher einer, zurückgriffen werden, die gerade Freizeit haben."
(Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik 2007, S. 59)

    Aktuell arbeiten in der voestalpine Stahl GmbH rund 230 aller 3.100 SchichtarbeiterInnen (vollkontinuierlicher Betrieb) in innovativen Schichtmodellen. (Stand: Mai 2009, vgl. Fuchs 2009) Eine Ausdehnung auf weitere Bereiche steht zur Diskussion. Dies vor allem, da gleichermaßen den Bedürfnissen der MitarbeiterInnen entsprochen und die Produktion gesichert wird.



1 Für die Begriffe flexibel, Flexibilität oder Flexibilisierung existieren vielfältige Definitionsansätze. Der Brockhaus versteht unter Flexibilisierung der Arbeitszeit "[…] alle Maßnahmen, mit denen eine größere Flexibilität sowohl von Arbeits- wie auch Betriebszeiten erzielt werden soll. Damit soll ein System […] befähigt werden, auf gesamtwirtschaftliche Veränderungen […] im Sinne der angestrebten Unternehmensziele schnell, wirksam und kostengünstig reagieren zu können." (zitiert nach Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik 2007, S. 53), zur Arbeitszeitflexibilisierung in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie vgl. bspw. Altun 2005

2 Gemeinsam mit dem AMS wurde das Solidaritätsprämienmodell voestalpine erarbeitet. Derart steuert das AMS eine finanzielle Unterstützung in der Höhe von 50 Prozent der entstandenen Entgeltdifferenz bei.(vgl. Achleitner 2005)

3 Nachfolgende Ergebnisse basieren auf den Erkenntnissen einer wissenschaftlichen Evaluierung der flexiblen Schichtmodelle der voestalpine Stahl GmbH. Diese erfolgte im Rahmen einer Diplomarbeit und ist aufgrund der Sensibilität der Daten bis zum Jahr 2012 gesperrt. (vgl. Hummer 2007) Die schriftliche Befragung fand ein Jahr nach der Einführung statt, 46 MitarbeiterInnen nahmen teil und die Rücklaufquote betrug 91,3 Prozent. (vgl. voestalpine Stahl GmbH 2009, S. 2f.)



Achleitner, Klaus, "Flexibler Arbeiten", voestalpine - Division Stahl (Hrsg.), MM. voestalpine Mitarbeitermagazin, Ausgabe Division Stahl, Nr. 01/2005, Linz 2005, S. 10 - 11

Altun, Ufuk, Arbeitszeitflexibilisierung in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie und die Verbandsstrategien. Eine vergleichende Analyse der arbeitszeitpolitischen Strategien des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und der Industriegewerkschaft Metall, Dissertation, Kassel 2005,
abrufbar unter http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=976207001&dok_var=d1&dok_ext=p..., Zugriffsdatum: 15. Juni 2009

BEST-ZEIT, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Geschichte der Arbeitszeitflexibilisierung, Köln 2002,
abrufbar unter http://www.flexible-arbeitszeiten.de/Kompakt/Geschichte1.htm, Zugriffsdatum: 15. Juni 2009

Die Wahrheit (Hrsg.), Nur Flexibilität allein ist kein Allheilmittel, Nr. 3/1997, Jg. 47, Linz 1997, S.2

Fuchs, Andreas, Information: Innovative Arbeitszeitmodelle, voestalpine Stahl GmbH, 19. Mai 2009 (unveröffentlichtes Dokument), Linz 2009

Geschichte-Club VOEST, PERSONAL- UND SOZIALWESEN. Der menschliche Faktor, in: ders. (Hrsg.), Geschichte der VOEST, Letzte Entwicklung und Rückblick auf die wechselhaften Jahre des größten österreichischen Industrieunternehmens in drei Teilen, Bd. 2, Linz 1995b, S. 293 - 300

Gmür, Markus, Arbeitszeitflexibilisierung in der Diskussion. Modelle und Erfahrungen unter besonderer Berücksichtigung des produzierenden Gewerbes (Management Forschung und Praxis, Nr. 3/1991), Konstanz 1991,
abrufbar unter http://kops.ub.uni-konstanz.de/volltexte/1999/34/pdf/34_1.pdf, Zugriffsdatum: 15. Juni 2009

Heckmann, Georg, Attraktive Arbeitswelt voestalpine. LIFE - Der Weg zum 3 Generationenunternehmen, Linz 2006,
abrufbar unter http://www.stahl-online.de/wirtschaft_und_politik/wirtschaft_und_handels..., Zugriffsdatum: 15. Juni 2009

Hietler, Annemarie, "MEISTERhaftes für LIFE", voestalpine - Division Stahl (Hrsg.), mm. Magazin für Mitarbeiter der voestalpine, Ausgabe Division Stahl, Nr. 01/2007, Linz 2007, S. 48 - 49

Hummer, Barbara, Die Auswirkungen flexibler Schichtgestaltung, illustriert am Beispiel der Evaluierung der flexiblen Schichtmodelle der voestalpine Stahl GmbH, Dipl.-Arbeit (gesperrt bis 24. April 2012), Linz 2007

Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Industrial Culture - Cultural Industries. Einblicke in die Entwicklung von Linz an der Donau als Industrie- und Kulturstadt, Endbericht im Rahmen der Lehrveranstaltung 229.091 KS Projektmanagement und 229.092 IK Projektbegleitung, Sommersemester 2007, Johannes Kepler Universität Linz, Linz 2007,
abrufbar unter http://www.liqua.net/liqua/images/dokumente/icl_industrial_culture_cultu..., Zugriffsdatum: 15. Juni 2009

voestalpine - Division Stahl (Hrsg.), "Arbeitszeit nach Maß", mm. voestalpine Mitarbeitermagazin, Ausgabe Division Stahl, Nr. 01/2007, Linz 2007, S. 12-13

voestalpine - Division Stahl (Hrsg.), "Flexible Arbeitszeitmodelle im Schichtbetrieb", MM. voestalpine Mitarbeitermagazin, Ausgabe Division Stahl, Nr. 03/2005, Linz 2005a, S. 2

voestalpine - Division Stahl (Hrsg.), "Neues Arbeitszeitmodell", MM. voestalpine Mitarbeitermagazin, Ausgabe Division Stahl, Nr. 02/2005, Linz 2005b, S. 5

voestalpine Stahl GmbH, Evaluierungsergebnisse flexibler Schichtmodelle in B1K und B2F, Foliensammlung vom 19. Mai 2009 (unveröffentlichtes Dokument), Linz 2009

voestalpine, GESCHÄFTSBERICHT 2004/05, Linz 2005,
abrufbar unter http://www.voestalpine.com/ag/de/press/publications/download_archiv_3.Co..., Zugriffsdatum: Zugriffsdatum: 15. Juni 2009