Generation nach Generation

Linz ist Karakurt, Zogaj und Okafor

von Michael John

In der Enzyklopädie "Migration in Europa" ist zu lesen:

"Migration gehört zur Conditio humana wie Geburt, Vermehrung, Krankheit und Tod; denn der Homo sapiens hat sich als Homo migrans über die Welt ausgebreitet. Auch die europäische Geschichte wurde entscheidend geprägt durch Migration und Integration."
(Bade/Emmer/Lucassen/Oltmer 2007, S. 19)

    Europa ist mit und durch Zuwanderung und interkulturelle Begegnung groß geworden. Mitteleuropa bildet dabei keine Ausnahme und auch für die Stadt Linz trifft dies zu. (vgl. generell John 2000) Im 19., 20. und beginnenden 21. Jahrhundert spielte und spielt Zuwanderung für die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Linz jeweils eine wichtige Rolle.

    Österreich wurde seit Jahrhunderten durch unterschiedliche Migrationsbewegungen mitgeprägt. Von der österreichischen Bundesregierung wurde ab 1961 unter der Mitwirkung der Sozialpartner ein jährlich vereinbartes Kontingent ausländischer Arbeitskräfte festgesetzt. Mit dem so genannten Raab-Olah-Abkommen von 1961 stimmte der Gewerkschaftsvorsitzende und österreichische Innenminister Franz Olah seitens des ÖGB einer Liberalisierung der AusländerInnenbeschäftigungspolitik zu. So zogen in den frühen 1960er-Jahren die ersten "GastarbeiterInnen" nach Linz - in erster Linie aus Jugoslawien und der Türkei. Der Fall des "Eisernen Vorhangs", das Ende der Zweiteilung Europas in "Ost und West" markierte 1989/90 eine erneute Wende. Die Zuwanderung nach Österreich erhielt starke Impulse. In Oberösterreich und speziell in Linz traf die neue Migration mit der Privatisierung verstaatlichter und staatsnaher Betriebe zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren viele Arbeitsplätze für den regionalen Bedarf "reserviert" gewesen. Doch mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und der fortschreitenden Globalisierung der Wirtschaft hat sich die Situation nachhaltig verändert. (vgl. John 2003a, S. 5 ff.) Im 21. Jahrhundert hat die Migration nach Österreich nochmals stark zugenommen. (vgl. Fassmann 2007, S. 394)

    In den letzten beiden Jahrzehnten war im Raum Linz eine starke Nachfrage nach ausländischen ArbeitnehmerInnen gegeben, insbesondere in der Gastronomie, am Bau sowie generell im Bereich der Hilfs- und der FacharbeiterInnen. Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund ist stark angestiegen und beträgt mittlerweile rund ein Viertel der Stadtbevölkerung. Viele Zugewanderte sind bereits eingebürgert.(vgl. Lebhart/Marik-Lebeck 2007, S. 170 ff.) Zum 1. Jänner 2009 waren 27.205 AusländerInnen mit Hauptwohnsitz in Linz gemeldet (14,4 % der Wohnbevölkerung). (Magistrat der Landeshauptstadt Linz 2009, o. S. ) Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten wandern viele österreichische Familien aus Linz in die Umlandgemeinden ab.

    Dieser Entwicklung wirkt der positive Wanderungssaldo ausländischer Arbeitskräfte entgegen. Gleichzeitig wurde das deutliche Geburtendefizit der Inländerinnen durch die Geburtenrate der Zuwanderinnen etwas abgemildert. Ohne die Zuwanderung aus dem Ausland würde Linz große Probleme haben, die städtische Infrastruktur in dieser Form zu erhalten. Die Wohnbevölkerung würde noch deutlicher schrumpfen, deren Durchschnittsalter erheblich steigen und der städtische Finanzhaushalt in Schwierigkeiten geraten. Dennoch werden diese unzweifelhaft positiven Aspekte der Migration nicht in entsprechender Form zur Kenntnis genommen. Ungeachtet der starken Zuwanderung gilt Österreich in der breiten Bevölkerung keineswegs als Einwanderungsland. So werden die aktuellen Diskussionen von negativen Zuschreibungen dominiert, welche eher die Probleme, weniger die Chancen in den Vordergrund rücken. In der Tageszeitung Die Presse wurde dies mit der Schlagzeile "Ein Einwanderungsland will es nicht wahrhaben" auf den Punkt gebracht. (Die Presse vom 14. November 2007, S. 3. vgl. auch Fassmann/Münz 1995 und Fassmann 2007, S. 394)

    Diesem Faktum entsprechend findet man etwa im Linzer Gemeinderat wenige Personen mit migrantischem Hintergrund. Der relativ hohe Anteil der ZuwanderInnen an der Wohnbevölkerung findet in der politischen Repräsentanz keine Entsprechung.

    Die in der Folge angeführten Fallbeispiele rücken nicht nur Personen mit migrantischem Hintergrund in den Fokus der Aufmerksamkeit, sondern zeigen auch, wie sie in der lokalen/regionalen Gesellschaft repräsentiert sind bzw. sich für eine entsprechende Vertretung eingesetzt haben.



Bade, Klaus, Emmer, Pieter C., Lucassen, Leo, Oltmer, Jochen, "Die Enzyklopädie: Idee - Konzept - Realisierung", in: dies. (Hrsg.), Enzyklopädie. Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2007, S. 19 - 27

Fassmann, Heinz, "Zusammenfassung", in: ders. (Hrsg.), 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht 2001-2006. Rechtliche Rahmenbedingungen, demographische Entwicklungen, sozioökonomische Strukturen, Klagenfurt-Celovec 2007, S. 393 - 399

Fassmann, Heinz, Münz, Rainer, Einwanderungsland Österreich? Historische Migrationsmuster, aktuelle Trends und politische Maßnahmen, Wien 1995

John, Michael, "Von der Anwerbung der 'Gastarbeiter' bis zu den Folgen der Globalisierung: Arbeitsmigration in Österreich", in: John, Michael, Lindorfer, Manfed (Hrsg.), migration - eine zeitreise nach europa. Ausstellungskatalog (= kursiv. eine kunstzeitschrift aus oberösterreich Heft 10-1/2/03), Linz 2003a, S. 5 - 26

John, Michael, Bevölkerung in der Stadt. 'Einheimische' und 'Fremde' in Linz (19. und 20. Jahrhundert), Linz 2000

Lebhart, Gustav, Marik-Lebeck, Stephan, "Bevölkerung mit Migrationshintergrund", in: Fassmann, Heinz (Hrsg.), 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht 2001-2006: Rechtliche Rahmenbedingungen, demographische Entwicklungen, sozioökonomische Strukturen, Klagenfurt-Celovec 2007, S. 165 - 182

Magistrat der Landeshauptstadt Linz, AusländerInnen , Linz 2009,
abrufbar unter http://www.linz.at/zahlen/040_Bevoelkerung/070_Auslaender, Zugriffsdatum: 10. Mai 2009