Erste Ars Electronica und Linzer Klangwolke
Erste Ars Electronica und Linzer Klangwolke
von Thomas Philipp
Das erste "Internationale Brucknerfest" fand 1974 statt, im Jahr der Eröffnung des Brucknerhauses. Zu Beginn eher traditionell am Werk Anton Bruckners ausgerichtet, kam es nach nur wenigen Jahren zu einem Experiment. Die Linzer Musikgruppe "Eela Craig" (Bognermayr, Zuschrader, Englisch, Waber, Gerstmair und Orthofer), die progressiven Rock mit elektronischer Musik und christlichen Texten verband, führte die Elektronikoper "Missa Universalis" auf. Hubert Bognermayr war es dann auch, der anschließend ein Konzept für ein Elektronik-Symposium vorstellte und mit dem Intendanten des ORF Oberösterreich, Hannes Leopoldseder, einen passenden Partner gewinnen konnte.
Im Rahmen des 6. Internationalen Brucknerfestes nahm daraufhin von 18. bis 21. September 1979 die erste Ars Electronica ihren Platz ein. Initiiert vom ORF Oberösterreich und dem Brucknerhaus gilt sie als eines der ersten Festivals weltweit, das sich mit den Schnittstellen von Kunst, Technologie und Gesellschaft auseinander setzte. Der damalige Linzer Bürgermeister Franz Hillinger strich in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Verbindung von Kunst und Technik für die Stadt im Geleitwort des Katalogs hervor:
(Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH 1979, S. 3)
Neben Leopoldseder und Bognermayr gelten übrigens der Münchner Kybernetiker und Schriftsteller Herbert W. Franke und der Hamburger Jazz-Pianist, Manager und Produzent Ulrich A. Rützel als "Gründerväter" der Ars Electronica. (vgl. Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH 1979)
Am Programm der ersten Ars Electronica stand ein eintägiges Symposium unter dem Titel "Der modulierte Mensch. Wechselwirkungen zwischen Elektronik, Gesellschaft, Medien, Technik, Medizin und Kunst" im Brucknerhaus. An ihm nahmen neben Herbert W. Franke teil:
- Rul Gunzenhäuser (Stuttgart): Computer - Vom Rechenwerkzeug zum kreativen Partner des Menschen
- Fritz Mundinger (Freiburg/Breisgau): Computertechnik am Gehirn - Möglichkeiten, Grenzen, Gefahren
- Barrington Nevitt (Toronto): Die elektronische Medienversion für das Jahr 2000
- Robert Jungk (Salzburg): Ästhetische Leitlinien für die Technik
- Siegfried Schmidt-Joos (Hamburg): Der Disco-Mensch
- Vladimir Bonacic (Zagreb): Entmaterialisierung der Kunst, Der Computer als Werkzeug und als kreativer Partner
- Ludwig Rehberg (London/Stuttgart): Ekseption (Rockinterpretation von Anton Bruckner und Modulierung der Musik in Formen und Farben mittels eines "Videosizers")
- Eberhard Schoener (Stuttgart): In Concert (Ethno-Konzert mit Musikern aus Java und Bali und europäischen Rockmusikern)
- Walter Haupt und Dieter Gackstetter (München): Träume (Bewegungstheater in einer variablen Spiegelszenerie)
- Manfred P. Kage (Weißenstein/Stuttgart): Das Audioskop (Visualisierung des ersten Satzes von Anton Bruckners 9. Symphonie)
- Alexander Vitkine (Boulogne): Demonstration am Sonoscop (Elektronische Schwingungen: Farb- und Formenspiel durch Bruckner-Musik)
- Peter Vogel (Freiburg/Breisgau): Musikalisch-kybernetisches Environment (Rauminstallation mit elektronischen Klang-Umformungsgeräten, Verstärkern und Lautsprechern)
- Walter Giers (Schwäbisch-Gmünd): Konzertmaschine (Übergang zwischen Skulptur und mathematischem Musikinstrument)
Zusätzlich zum Symposium wurden mehrere Projekte zwischen Computermusik und Video Art gezeigt:
Den Großen Preis der Ars erhielt der Schweizer Jazz- und Elektronikmusiker Bruno Spoerri für sein "Lyricon", ein elektronisches Musikinstrument, das in der Anblasweise einem Saxophon nachempfunden ist. Eine besondere Attraktion stellte der aus den USA eingeflogene Roboter SPA 12 dar. Unvergessen bleibt die Szene, wie er bei seiner Ankunft am Flughafen von Bürgermeister Hillinger begrüßt wird. Bei der Eröffnungsansprache zur Ars Electronica, die SPA 12 halten sollte, zeigten sich jedoch die technischen Beschränkungen:
(OÖ Tagblatt 1979)
Zur Festivaleröffnung wurde auch die erste Linzer Klangwolke aufgeführt. Dabei wurde Bruckners Symphonie Nr. 8 c-Moll als multiquadrophonisches Open-Air im Donaupark inszeniert. Beauftragt wurde mit der Konzeption der Klangwolke der Münchner Künstler Walter Haupt, der bereits Erfahrungen mit Klangexperimenten im öffentlichen Raum aufweisen konnte, u. a. im Rahmen einer 1978 aufgeführten "Klangwolke über Münchens Innenstadt". Leopoldseder wies im Vorwort des Katalogs darauf hin, dass die ganze Stadt in das musikalische Ereignis miteinbezogen und an einem Abend aus der Industriestadt Linz eine Klangstadt werden sollte. (vgl. Leopoldseder 1998, S. 9)
Die Klangwolke wurde dafür auf drei Ebenen umgesetzt:
- Ein zentrales multiquadrophonisches Musikereignis zwischen Donauufer und Eisenbahn- und Nibelungenbrücke mit vier voneinander getrennten Lautsprechergruppen mit einer Gesamtleistung von etwa 20.000 Watt, sowie ein über der Musikszene schwebender Ballon, auf den dreifarbige Laserstrahlen projiziert werden sollten.
- Periphere Musikereignisse an über die Stadt verteilten Klangstationen, bei denen das Publikum die Möglichkeit zur Interaktion mittels Vocoder, Digital-Reverberation, Equalizier, Harmonizer, Computer, Synthesizer und Delay-Geräten haben sollte.
- Ein radiophoner Teil, bei dem das fluktuierende Hörbild mittels einer Kette von Kunstkopf-Einrichtungen vom ORF-Studio Oberösterreich aufgenommen und das Klangresultat an Radioempfänger weitergeleitet werden sollte. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, ihre Radiogeräte auf das Fensterbrett zu stellen.
Das Ereignis wurde von rund 100.000 Menschen regelrecht gestürmt. Die lokalen Medien berichteten in den Folgetagen allerdings weniger vom künstlerischen Erfolg als von den Enttäuschungen. Schlecht platzierte Lautsprechertürme, technische Pannen beim visuellen Teil und bei den peripheren Stationen Freinberg, Pöstlingberg, Auhofgelände und Hummelhofpark, ein gewaltiges Verkehrschaos und verwüstete Parkanlagen beeinträchtigten das Klangerlebnis massiv. Einzelne Zeitungsausschnitte belegen dies eindrücklich:
(Neue Kronzen Zeitung 1979, S. 7)
(Oberösterreichische Nachrichten 1979, S. 7)
(Kurier 1979)
(Tagblatt 1979, S. 10)
Nichtsdestotrotz hatte sich die Klangwolke etabliert. Es gelang, ein eigenständiges und unmittelbar mit Linz verbundenes kulturelles Ereignis zu schaffen, welches das Image der Stadt nachhaltig prägte. (vgl. Kirchmayr 2008, S. 83)Ebenfalls fest verankert war ab diesem Zeitpunkt die Ars Electronica, die zwischen 1980 und 1986 im Zweijahresrhythmus aufgeführt wurde. 1986 erfolgte eine Loslösung vom Brucknerfest und im folgenden Jahr wurde die Ars Electronica rekonzipiert. Gottfried Hattinger leitete das Festival von 1987 bis 1991. Er initiierte eine Ausrichtung an spezifischen Themenschwerpunkten, die bis heute jährlich wechseln:
- Der freie Klang (1987)
- Kunst der Szene (1988)
- Im Netz der Systeme (1989)
- Digitale Träume - Virtuelle Welten (1990)
- Out of Control (1991)
- Endo-Nano (1992)
- Genetische Kunst - Künstliches Leben (1993)
- Intelligente Ambiente (1994)
- Welcome to the Wired World (1995)
- Memesis (1996)
- Flesh Factor (1997)
- Infowar (1998)
- Life-Science (1999)
- Nextsex (2000)
- Takeover (2001)
- Unplugged (2002)
- Code - The Language of our Time (2003)
- Timeshift - The World in 25 Years (2004)
- Hybrid - Living in Paradox (2005)
- Simplicity - The Art of Complexity (2006)
- Goodbye Privacy (2007)
- A New Cultural Economy - Wenn Eigentum an seine Grenzen stößt (2008)
- Human Nature (2009)
Nachfolger von Hattinger wurde der Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel, der dem Festival bereits zuvor in beratender Funktion zur Seite stand und es von 1992 bis 1995 leiten durfte. Ihm folgte der steirische Medienkünstler Gerfried Stocker, der als Geschäftsführer des 1996 eröffneten Ars Electronica Center dem Festival bis heute gemeinsam mit Christine Schöpf, der früheren Leiterin der Kulturabteilung im ORF Landesstudio Oberösterreich, vorsteht.
1987 wurde zudem der Prix Ars Electronica gegründet, ein hoch dotierter Preis für verschiedene Sparten der digitalen Kunst. Zu Beginn wurde er in den Kategorien "Computergraphik" und "Computeranimation" (und teilweise in "Computermusik") vergeben. Mittlerweile wird der Prix Ars Electronica in acht Kategorien ausgeschrieben: Computer Animation/Film/VFX, Interactive Art, Digital Musics, Hybrid Art, Digital Communities, u19 - freestyle computing, [the next idea] Stipendium und Media.Art.Research Award. Mit über 40.000 Einreichungen seit seinem Bestehen und einem jährlichen Preisgeld von 122.500 Euro ist er der höchstdotierte Preis für Computerkunst weltweit. Die GewinnerInnen der Hauptkategorien erhalten neben dem Geldpreis auch die so genannte "Goldene Nica", eine der griechischen Siegesgöttin Nike nachgeformte Goldskulptur.
Als dritte Säule neben dem Festival und dem Prix wurde 1996 das Ars Electronica Center als Museum der Zukunft eröffnet. Im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres wurde es räumlich und inhaltlich erweitert und Anfang Jänner 2009 feierlich neu eröffnet. Ebenfalls 1996 nahm die vierte Säule der Ars Electronica seine Arbeit auf - das Futurelab, ein Medienkunstlabor zur Umsetzung von künstlerischen und technologischen Experimenten.
Kirchmayr, Birgit, Kultur- und Freizeiträume in Linz im 20. Jahrhundert, Archiv der Stadt Linz, Linz 2008
Kronenzeitung, Hunderttausende Linzer strömten zur Klangwolke, 19. September 1979, Linz 1979, S. 7
Kurier, Menschenmassen statt Bruckner-Promenade, 20. September 1979, Wien 1979
Leopoldseder, Hannes, Linzer Klangwolke. Kunsterlebnis zwischen Himmel und Erde. Die Geschichte eines Markenzeichens, Wien 1988
Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, ars electronica, 18. - 21. September 1979 im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes '79 Linz, Linz 1979,
abrufbar unter http://90.146.8.18/de/archives/festival_archive/festival_catalogs/festiv..., Zugriffsdatum: 10. Mai 2009
Oberösterreichische Nachrichten, Oberösterreichs größte Bevölkerungswolke, 20. September 1979, Linz 1979, S. 6 - 7
OÖ Tagblatt, Klangwolke faszinierte Zehntausende, 19. September 1979, Linz 1979
Tagblatt, Bruckners größte Zuhörerschaft, 20. September 1979, Linz 1979, S. 10