Verstecken? Präsentieren? Entsorgen?

Verstecken? Präsentieren? Entsorgen?

von Michael John

Wie jahrzehntelange Diskussionen in Deutschland zeigen, ist der Umgang mit der baulichen und künstlerischen NS-Hinterlassenschaft schwierig. Dies trifft auch auf die Stadt Linz zu: Wann ist ein NS-Artefakt Symbol eines Unrechtsregimes und im schlechtesten Fall dessen Darstellung eine Art "Wiederbetätigung", wann ist es "wichtiges Zeugnis einer nicht wegzuleugnenden Epoche", wann ist es Teil der Alltagskultur geworden dessen Details der Entstehung vergessen wurden? So wurde zum Beispiel die (!) zentrale Brücke in Linz, die Nibelungenbrücke mit Stein aus dem Konzentrationslager Mauthausen erbaut. In den Steinbrüchen Mauthausens und insbesondere auf der "Todesstiege" kamen viele Menschen ums Leben. (vgl. Freund/Perz 2007, S. 56 f. und 65) Ein direkter Zusammenhang ist damit in diesem Fall gegeben.

    Ein wesentlich bekannteres Beispiel eines baulichen NS-Erbes in Linz sind wohl die aus Stein gefertigten Löwen am Hauptbahnhof, welche die Gemüter schon in den 1990er-Jahren erregten. 1941 wurden die Skulpturen in Auftrag gegeben und vom Bildhauer Jakob Adlhart für die Salzburger Todtbrücke geschaffen. Adlhart galt den Nationalsozialisten als Schöpfer "entarteter Kunst", durch Protektion erhielt er dennoch diesen Auftrag. Fritz Todt war Generalinspekteur für das Straßenwesen des Dritten Reichs. Er war verantwortlich für den Einsatz zehntausender ZwangsarbeiterInnen. 1945 wurde die Todtbrücke in Staatsbrücke umbenannt, die Löwen hatte man nach Linz verfrachtet. Dort wurden sie vor dem Hauptbahnhof aufgestellt und entwickelten sich zu einem beliebten Treffpunkt.

    Der Münchner Künstler Wolfram Kastner löste durch eine Kunstaktion in Form der Verhüllung der beiden Löwen eine Kontroverse um den Umgang mit "NS-Kunst" im öffentlichen Raum aus. Forderungen nach der Entfernung der Löwen im Zuge des Umbaus des Linzer Hauptbahnhofs wurden gestellt. Im September 1999 diskutierte der Linzer Gemeinderat, wie mit den Löwen zu verfahren sei. Die FPÖ sprach von einer "Löwenhatz" und stellte den Antrag, die Löwen wieder an einem zentralen Ort im Bahnhofsbereich zu positionieren. Notfalls sollten die Löwen von der Stadt Linz angekauft werden und in Bahnhofsnähe aufgestellt werden. Der Antrag der FPÖ, die Löwen nach Fertigstellung des Bahnhofes wieder aufzustellen, wurde mehrheitlich angenommen. Die MandatarInnen der Grünen und einer Bürgerliste enthielten sich der Stimme. (vgl. Höss/Sommer/Uhl 2009, S. 80)

    Im Jahre 2004 wurden die Löwen am Hauptbahnhof wieder aufgestellt. Die Oberösterreichischen Nachrichten berichteten darüber:

"Heimgekehrt: Großer Bahnhof für die Löwen […] Hunderte Menschen drängten sich Samstag kurz vor Mittag auf dem neuen Bahnhofsvorplatz. Jeder wollte einen Blick auf die beiden Heimkehrer werfen, sich von ihrer Schönheitsbehandlung überzeugen und nicht zuletzt diesen Augenblick mit der Kamera festhalten. Mittels Kran wurden die beiden 4,5 Tonnen schweren Löwen auf die Sockel vor dem Bahnhofsgebäude gehievt - in Millimeterarbeit und begleitet von Klängen der Bundesbahn-Musikkapelle. Gegen 15 Uhr war das Werk vollbracht, die beiden Bahnhofs-Löwen wachten wieder. 'Schön schaun s' aus', urteilte einer der vielen Besucher an diesem Tag. Zufriedenheit auch beim Linzer Bürgermeister […] Feierstimmung herrschte auf dem Bahnhof den ganzen Tag. Dafür sorgte nicht nur die Löwen-Heimkehr, sondern auch das Programm mit Frühschoppen, Bahnhofsführungen, das Musical 'König der Löwen' sowie die After-Löwen Party."
(Oberösterreichische Nachrichten vom 20. September 2004, Lokalnachrichten Linz, S. 29)

    Zeitgleich arbeiteten Studierende der Linzer Kunstuniversität an einem Projekt, das "Die Löwen als ästhetisches Ereignis?" hinterfragte. In diesem Zusammenhang wurden 2004 im Lentos Kunstmuseum Linz zehn einschlägige Projekte vorgestellt und ein Katalog präsentiert. Im Vorwort zum Katalog heißt es:

"Jetzt hat Linz die Löwen […] Linz, die "Jugendstadt" des "Führers", sollte in der Vorstellung Hitlers das leuchtende Gegenstück zu Wien werden. Tausende Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge mussten für diesen Plan arbeiten und auch ihr Leben lassen. Die Löwen […] haben Linz unter der NS-Herrschaft nicht gesehen, sie sind - scheinbar zufällig - nach der Niederlage des NS-Regimes nach Linz gekommen, aus Salzburg entsorgt worden. Vielleicht wollten sich die Salzburger so eines NS-Dekorstücks entledigen? […] Die Linzer Löwen haben eine Geschichte. Sie handelt von Brücken und Bahnhöfen, von Umsiedlung, von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. Linz sollte vor dieser Geschichte nicht erschrecken, sie nicht verdrängen, sondern sie aus den stummen Löwen herausarbeiten."
(Kunstuniversität Linz 2004, S. 1)

    Mit den Löwen des Hauptbahnhofs ging man in Linz also offensiv um: Kunstaktionen mit Tarnnetzen, Löwenfeste mit Freibier, ein Projekt der Kunstuniversität, zeitweilig nach der Neueröffnung des Bahnhofs wurden sie sogar durch Plastiklöwen im Untergeschoss vermehrt.

    Die Geschichte der Skulptur "Aphrodite", die 1942 von Adolf Hitler seiner "Patenstadt Linz" geschenkt und am Bauernberg aufgestellt wurde, ist eine andere. Jahrzehntelang stand die Statue unbeachtet in einem Säulenpavillon an ein und derselben Stelle. Im Mai 2008 machte der Künstler Alexander Jöchl im Rahmen des Projekts "Hohlräume der Geschichte" auf diese Statue aufmerksam. Die "Aphrodite" wurde in eine Holzkiste verpackt und mit der Aufschrift versehen:

"Linz, 18. April 1942. Die Plastik auf der Gugl soll formlos enthüllt werden. Der Führer übergibt sie der Stadt Linz als Geschenk. Linz, 13. Mai 2008. Die Plastik auf der Gugl wird formlos sichtbar gemacht."
(vgl. Höss/Sommer/Uhl 2009, S. 58)

    Die Statue wurde in der Folge im Auftrag der Stadt Linz abtransportiert und in ein Depot des Linzer Stadtmuseums verbracht.

    Schließlich führte auch der Denkmalschutz für die so genannten Brückenkopfgebäude zu Auseinandersetzungen. Sie sind der einzige Teil eines Prachtboulevards, den Hitler in Linz errichten lassen wollte. Die Kunstuniversität möchte die Gebäude für den Studienbetrieb nutzen und adaptieren, sie wird in diesem Bestreben vom Bürgermeister und vom Planungsstadtrat der Stadt Linz unterstützt. Vier Würfel wollte der Sieger des in diesem Sinn ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs, der in Linz aufgewachsene und international tätige Adolf Krischanitz, auf das Dach der denkmalgeschützten Brückenkopfbauten setzen. (vgl. Oberösterreichische Nachrichten vom 3. März 2009, Lokalnachrichten Linz, S. 32) Dieser Plan ist heftig umstritten, insbesondere von Seiten des Denkmalschutzes: "Monumente der Geschichte, ob positiv oder negativ besetzt, sind zu erhalten", so Wilfried Lipp, der Leiter des Bundesdenkmalamtes in Oberösterreich: "Das ist die Kernideologie des Denkmalschutzes. Solche Monumente sind wie Urkunden zu behandeln, um die Authentizität zu sichern." (Oberösterreichische Nachrichten vom 18. Februar 2009, Lokalnachrichten Linz, S. 25)

    Gegenwärtig sind die Brückenkopfgebäude im öffentlichen Bewusstsein der meisten LinzerInnen von dem Schreckensregime, in dem sie entstanden, entkoppelt. Der politische Zusammenhang, in dem sie errichtet wurden, ist den meisten Menschen nicht (mehr) bekannt. Der fehlende Zusammenhang sei aber nur scheinbar, markiert als Position Johannes Cramer, Professor für Bau- und Stadtbaugeschichte an der Technischen Universität Berlin, man könne sich nicht so verhalten, als sei ein Zusammenhang ganz einfach nicht gegeben. (vgl. Oberösterreichische Nachrichten vom 10. April 2009, S. 3)



Freund, Florian, Perz, Bertrand, Konzentrationslager in Oberösterreich 1938 - 1945, Linz 2007

Höss, Dagmar, Sommer, Monika, Uhl, Heidemarie (Hrsg.), In situ. Zeitgeschichte findet Stadt. Nationalsozialismus in Linz, Linz 2009

Kunstuniversität Linz (Hrsg.), Die Löwen als ästhetisches Ereignis, Linz 2004